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Nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei Alzheimer-Demenz

12.09.2016

Immer häufiger wird in der mündlichen Prüfung ein Fallbeispiel mit der Diagnose einer Alzheimer-Demenz vorgestellt und in diesem Zusammenhang auch nach Therapiemöglichkeiten gefragt.

Da die Prävalenz der Alzheimer-Erkrankung u. a. aufgrund der demografischen Entwicklung und der gestiegenen Lebenserwartung stetig zunimmt, gewinnt neben der medikamentösen auch die nicht-medikamentöse therapeutische Versorgung von Alzheimer-Patienten immer mehr an Bedeutung.

Auch für den Heilpraktiker für Psychotherapie bieten sich in diesem Bereich viele Möglichkeiten der therapeutischen Arbeit, dabei ist aber zu beachten:

Die therapeutische Behandlung und Betreuung von Demenzkranken erfordert spezielle gerontopsychiatrische Kenntnisse bzw. eine fachtherapeutische Ausbildung!

Da in Lehrbüchern nicht-medikamentöse oder psychosoziale Therapiemöglichkeiten nur selten ausführlich beschrieben werden, gebe ich Ihnen nachfolgend eine Übersicht, damit Sie diese Frage in der mündlichen Prüfung kompetent beantworten können:


Vorbemerkung zur Erinnerung:

Die Alzheimer-Erkrankung ist nicht heilbar. Therapeutische Ziele sind deshalb:

  • Verbesserung/Linderung der klinischen Symptome
  • Stabilisierung des Krankheitsniveaus und Verlangsamung des Krankheitsverlaufs


Therapeutische Grundhaltung:

Neben der empathischen und wertschätzenden Grundhaltung des Therapeuten hat sich im Umgang mit Demenzkranken die sog. „Validation“ bewährt. Validation bezeichnet die Anerkennung der subjektiven Sichtweise der Patienten: man akzeptiert, dass Menschen mit Demenz in ihrer eigenen Welt leben und korrigiert sie nicht ständig.


Die nicht-medikamentösen therapeutischen Möglichkeiten sind in 5 Gruppen unterteilt:

1. Verbesserung und Aufrechterhaltung kognitiver Leistungen

2. Förderung der Funktionsfähigkeit im Alltag

3. Stärkung des emotionalen Wohlbefindens

4. Milderung von Verhaltenssymptomen (z. B. Unruhe, Reizbarkeit, Depressivität)

5. Unterstützung und Entlastung der Angehörigen
 

Die Anwendung der genannten Therapiemöglichkeiten richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung (leichtgradig, mittelschwer, schwer).


1. Verbesserung und Aufrechterhaltung kognitiver Leistungen:


Gedächtnistraining

  • meist in Gruppen werden Merkfähigkeit, Denken, Konzentration und Aufmerksamkeit trainiert
  • dies geschieht z. B. in Form von Unterhaltungen über Kindheitserlebnisse, Ereignisse des Tages, früheren Reisen oder in Form von Quizaufgaben oder Wortspielen

Krankheitsstadium: leichtgradig bis mittelschwer


Logopädie:

  • v. a. bei beginnender Demenz können durch Logopädie Wortfindungsstörungen und Sprachverständnis verbessert werden
  • im schweren Stadium der Erkrankung kann Logopädie helfen, bei möglichen auftretenden Schluckstörungen die Nahrungsaufnahme sicher zu gestalten


2. Förderung der Funktionsfähigkeit im Alltag:


Ergotherapie (Beschäftigungstherapie)

  • Strukturierung des Tagesablaufs
  • Einführung von Verhaltensroutinen (z. B. Aufbewahrung von Gegenständen an immer denselben Plätzen)
  • Üben von Alltagstätigkeiten (z. B. Aufgaben im Haushalt, Körperpflege, Anziehen)
  • Nutzung von Gedächtnishilfen (z. B. Notizbücher, Kalender, Notizzettel)
  • Aufrechterhaltung des körperlichen Gesundheitszustandes (Bewegungstherapie, Nahrungsaufnahme, z. B. in Form von Kochgruppen)
  • Anpassung des Wohnumfeldes (z. B. Erinnerungshilfen, Mobilitätshilfen, klare Kennzeichnung von Objekten in der Wohnung, einfach zu bedienende Telefone)

Krankheitsstadium: leichtgradig bis mittelschwer: Sicherstellung der Eigenständigkeit

Krankheitsstadium: mittelschwer bis fortgeschritten: Stützung verbliebener Fertigkeiten


3. Stärkung des emotionalen Wohlbefindens:


Aktivitätsaufbau:

  • Anleitung für Angehörige, angenehme Tätigkeiten in den Alltag der Patienten einzufügen (z. B. Treffen mit Freunden und Bekannten oder Besuch eines Seniorenzentrums), um Depressivität und sozialen Rückzug zu vermindern

Krankheitsstadium: leichtgradig bis mittelschwer


Erinnerungstherapie:

  • meist in Gruppen werden Gespräche über frühere Erfahrungen und Erlebnisse angeregt
  • als Erinnerungshilfen dienen Fotos, Zeitungsausschnitte, Musikstücke oder Alltagsgegenstände
  • die kognitiven Fähigkeiten und allgemeine Stimmung verbessern sich

Krankheitsstadium: leichtgradig bis mittelschwer


Kunsttherapie:

  • durch Zeichnen, Malen und Gestalten von Objekten werden Wahrnehmung, Erinnerung und Kommunikation gefördert
  • schöpferische Tätigkeit stärkt das Selbstvertrauen
  • auf die entstandenen Ergebnisse kann man stolz sein; sie werden anderen gezeigt oder sogar ausgestellt

Krankheitsstadium: leichtgradig bis mittelschwer


4. Milderung von Verhaltenssymptomen (z. B. Unruhe, Reizbarkeit, Depressivität):


Verhaltenstherapie (VT):

  • bei beginnender Demenz kognitive VT: Umstrukturierung von negativen Denkmustern (v. a. bei Depressivität)
  • operante VT: positive Verstärkung von erwünschtem Verhalten (Belohnungen)

Krankheitsstadium: leichtgradig bis mittelschwer

  • im fortgeschrittenen Stadium: Anleitung der Angehörigen (z. B. Förderung selbstständigen Verhaltens bei der Nahrungsaufnahme oder bei der Körperpflege)


Musiktherapie:

  • in Gruppen wird gemeinsam gesungen oder Musik gehört (häufig wird auf Musik mit biografischer Erinnerung „von früher“ zurück gegriffen)
  • Musik macht Freude, verbessert die Stimmung und weckt Erinnerungen, Gefühle und fördert die soziale Interaktion
  • mit Musik können auch Menschen im fortgeschrittenen Stadium, die sich nur schwer sprachlich äußern können, erreicht werden

Krankheitsstadium: leichtgradig bis schwer


Aromatherapie:

  • Essenzen von Pflanzen mit beruhigender Wirkung (z. B. Lavendel, Melisse, Rose) werden in Duftlampen verwendet, dem Badewasser zugesetzt oder durch Massage auf die Haut aufgetragen
  • die freigesetzten ätherischen Öle sprechen den Geruchssinn an und können eine starke beruhigen Wirkung haben

Krankheitsstadium: leichtgradig bis schwer


Tier-Therapie:

  • die Anwesenheit eines Tieres vermittelt das Gefühl der Gemeinsamkeit, bietet die Möglichkeit für taktile Reize (streicheln) und eine einfache, aber intensive non-verbale Kommunikation
  • Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass die Tier-Therapie Unruhe und Reizbarkeit vermindert, gleichzeitig Aktivität und soziale Interaktion verbessert

Krankheitsstadium: leichtgradig bis schwer

 

5. Unterstützung und Entlastung von Angehörigen

  • Angehörige können in sog. „Angehörigengruppen“ (z. B. organisiert durch die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft) Informationen und Unterstützung finden (z. B. örtliche Hilfsangebote, Leistungen der Pflege-Versicherungen, Erfahrungsaustausch)
  • sinnvoll ist es, frühzeitig eine Patientenverfügung abzuschließen und eine gesetzliche Betreuung einzurichten; diese ist spätestens dann notwendig, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, einer Behandlung zuzustimmen bzw. sich finanzielle und gesundheitliche Angelegenheiten nicht mehr anders regeln lassen können

Weitere Details zur Einrichtung einer Betreuung und zum Betreuungsgesetz finden Sie in Skript Nr.: 6 „Juristische Aspekte“)


Die komplette Darstellung der Alzheimer-Erkrankung (Ätiologie, Epidemiologie, Diagnostik, Symptome, Verlauf) finden Sie in Skript Nr. 2 „Organische psychische Störungen)


Wörterbuch:

Gerontopsychiatrie (gr: geron = der Greis):
Alterspsychiatrie; befasst sich mit psychischen Erkrankungen speziell bei Menschen im höheren Lebensalter

Ergotherapie (gr.: ergon = Werk, Arbeit):
Therapiemethode, die sich speziell mit der Ausführung bestimmter Tätigkeiten befasst, meist Alltagstätigkeiten, in denen Beeinträchtigungen bestehen (z. B. sich anziehen, essen, Schuhe zu binden)


Quellen:

  • Fachzeitschrift „Der Nervenarzt“ (1/2013)
  • „Das Gehirn“ (Publikation des Reflex-Verlages, 09/2013)
  • „Psychische Störungen in der Praxis“ (Leitfaden zur Diagnostik und Therapie in der Primärversorgung nach dem Kapitel V (F) der ICD 10
  • Deutsche Alzheimer Gesellschaft (Infoblatt 6)