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Schriftliche Prüfung vom 21.03.2018 - Kommentar

10.04.2018

Kommentar zur schriftlichen Prüfung für den Heilpraktiker, eingeschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, vom 21. März 2018

In dieser Prüfung gab es 4 Fragen zu Themen, die meiner Kenntnis nach bislang sehr selten oder auch gar nicht geprüft worden sind. Auf diese werde ich weiter unten eingehen.

Mehr Fragen als sonst (insgesamt 5) wurden als kurze Fallbeispiele gestellt, das bedeutet mehr Text zum genauen Durchlesen in der Prüfung in der ohnehin schon knapp bemessenen Prüfungszeit.

Bei 2 Fragen wurde geprüft, ob das Wissen vorhanden ist, dass psychische Symptome auch (hirn-) organisch (F0) bedingt sein können und dies entsprechend von ärztlicher Seite abgeklärt werden muss.
-> CAVE: Darauf sollte ggf. auch unbedingt in der mündlichen Prüfung hingewiesen werden!

Keine Fragen gab es aus dem Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie (im Gegensatz zur letzten Prüfung im Oktober 2017: da waren es gleich 5 Fragen) und keine zu Psychopharmaka.

Die einzelnen Fachgebiete wurden in der folgenden Gewichtung abgefragt:

5 Fragen aus dem Bereich F 3: Affektive Störungen:

kurzes Fallbeispiel zur schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen; Dysthymia; Statistik und medikamentöse Therapie; Merkmale des somatischen Syndroms; Symptome der Manie

4 Fragen aus dem Bereich F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen:

Angststörungen (Panikstörung, Phobie); somatoforme Schmerzstörung; Zwangsstörungen (Behandlung), Somatisierungsstörung (Behandlung)


je 3 Fragen aus den folgenden Bereichen:

F1: psychotrope Substanzen:

Symptome des Opioidentzugssyndroms; Wernicke-Enzephalopathie; Delir (Symptome und mögliche Ursachen)

F2: Schizophrenie und wahnhafte Störungen:

Hebephrenie; psychomotorische Symptome; wahnhafte Störung

F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen:

generelle Aussagen zur PS (u. a. Komorbiditäten, Suizidrisiko, Beginn in Kindheit oder Jugend); kurzes Fallbeispiel zur ängstlich (vermeidenden) PS; abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle (kurze Fallbeispiele zu unterschiedlichen Störungen)


je 2 Fragen aus den folgenden Bereichen:

F0: Organische Störungen:

Ursachen von organischen psychischen Störungen; Multiple Sklerose

therapeutische Verfahren:

Gesprächspsychotherapie nach Rogers; Psychoanalyse (Abwehrmechanismen)


je 1 Frage aus den folgenden Bereichen:

Suizidalität: Umgang mit suizidgefährdeten Personen

Juristische Aspekte: Betreuungsgesetz

F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen: Sexualstörungen

Psychopathologie: formale Denkstörungen: Konkretismus


Die folgenden Fragen betreffen Gebiete, die sehr selten bzw. noch nie geprüft worden sind:

1. Frage zur Multiplen Sklerose (MS):

MS ist (neben der Epilepsie) eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen bei jungen Erwachsenen. Neben den neurologischen Symptomen kommen häufig verschiedene psychische Symptome hinzu. MS wird im ICD 10 unter F02.8 „Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheitsbildern“ mit aufgeführt, da sich im Spätstadium der Erkrankung eine Demenz entwickeln kann.

Insofern ist es notwendig, die wichtigsten Merkmale der Erkrankung zu kennen. Einen Kurz-Überblick der wichtigsten Fakten können Sie hier downloaden.

Weitere Informationen finden Sie in Skript Nr. 2: „FO: Organische psychische Störungen“.

Welche der folgenden Aussagen zur Multiplen Sklerose treffen zu?

  1. Im Erkrankungsfall kommt es bei einem Teil der Patienten auch zu psychischen Veränderungen mit insbesondere affektiven Störungen
  1. Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen
  1. Die Erkrankung wird durch Zecken übertragen
  1. Der Ersterkrankungsgipfel liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr
  1. In Spätstadien der Erkrankung ist eine demenzielle Entwicklung möglich
     
  1. Nur die Aussagen 1 und 4 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 2 und 5 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 4 und 5 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 2, 3 und 4 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 3, 4 und 5 sind richtig

Richtige Antwort: C)


2. Frage zu „abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ (F63):

Bei dieser Frage sollte anhand kurzer Fallbeispiele geprüft werden, ob das Verhalten den Kriterien einer Störung aus o. g. Kategorie entspricht.

Fallbeispiel A):

Eine 24-jährige Frau stiehlt mehrmals im Monat ohne Motivation im Supermarkt Lebensmittel. Direkt vor den Diebstählen ist sie sehr angespannt, danach spürt sie Befriedigung und auch eine Abnahme der Anspannung. Die gestohlenen Lebensmittel verschenkt sie. Zwischen den Diebstählen leidet sie an Schuldgefühlen.

Richtig: das Verhalten entspricht den Kriterien einer Kleptomanie (pathologisches Stehlen) – F63.2

Diagnosekriterien nach ICD 10:

  • es besteht der wiederholte Drang, Diebstähle zu begehen, die nicht zum persönlichen Gebrauch oder der Bereicherung dienen
  • die Gegenstände werden häufig weggeworfen, weggegeben oder gehortet
  • dabei bestehen Gefühle wachsender Spannung vor der Handlung und ein Gefühl der Befriedigung während und sofort nach der Tat
  • die Diebstähle werden als ich-dyston empfunden, d. h. die Betroffenen sind sich im klaren, dass sie etwas Verbotenes oder Sinnloses tun – es können Angst und Schuldgefühle entstehen, das verhindert den Rückfall aber nicht
     

Fallbeispiel B):

Ein 30-jähriger Mann legt einmalig einen Brand ohne erkennbares Motiv. Nach der Tat zeigt er eine große Erregung und beobachtet das Feuer.

Falsch: das Stichwort hier ist „einmalig“. Die Kriterien für eine Pyromanie (pathologische Brandstiftung) – F63.1 sind „wiederholte oder häufige“ tatsächliche oder versuchte Brandstiftungen.

Diagnosekriterien nach ICD 10:

  • es besteht ein unwiderstehlicher Drang, wiederholt Feuer zu legen (versuchte oder vollendete Brände) ohne erkennbare Motive
  • dabei bestehen Gefühle wachsender Spannung vor der Handlung und starker Erregung sofort nach der Ausführung
  • der Betroffene hat ein starkes Interesse an der Beobachtung von Bränden und mit allem, was mit Feuer und Brand in Verbindung steht (z. B. mit Feuerwehrautos, Brandbekämpfung, Rufen der Feuerwehr)
     

Fallbeispiel C):

Ein 17-jähriger Jugendlicher stiehlt mehrmals pro Woche eine Flasche Wodka, um diese noch gleich vor dem Supermarkt zu konsumieren. Nach seinem 18. Geburtstag trinkt er mehrmals pro Woche jeweils eine Flasche Wodka gleich vor dem Supermarkt, nachdem er sich diese zuvor legal gekauft hat. Bei ihm wurde eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert.

Falsch: das Fallbeispiel entspricht nicht den Kriterien für eine Kleptomanie (siehe unter A)). Das Stehlen von Alkohol ist in diesem Fall wahrscheinlich die Folge der Alkoholabhängigkeit, die im Fallbeispiel ja auch angegeben ist.

Fallbeispiel D):

Ein 42-jähriger Manager verliert beim Roulette spielen im Casino bei jedem Einsatz mehrere Hundert Euro. Nachdem er von seiner Frau kritisiert wird, spielt er nicht mehr.

Falsch: die Kriterien entsprechen nicht dem pathologischen Spielen (Spielsucht) – F63.0. Dies ist daran zu erkennen, dass der Mann nach der Kritik seiner Frau aufhört zu spielen. Das Hauptmerkmal der Störung ist aber „ein unwiderstehlicher Drang zu spielen, trotz negativer Konsequenzen wie z. B. finanzielle Probleme oder gestörte Familienbeziehungen“.

Diagnosekriterien nach ICD 10:

  • es besteht ein unwiderstehlicher Drang zum wiederholten Glücksspiel (Automaten, Karten, Roulette, Sportwettern u. v. m.)
  • die Betroffenen erleben dabei eine rauschhafte Euphorie und ein gesteigertes Selbstwertgefühl und zunehmenden Kontrollverlust
  • trotz dadurch entstehender finanzieller Schwierigkeiten (was häufig zu kriminellen Handlungen zur Geldbeschaffung führt), gestörter Familienbeziehungen und Zerrüttung der persönlichen Verhältnisse wird das Glücksspiel fortgesetzt
     

Fallbeispiel E):

Ein 9-jähriges, normal intelligentes Mädchen reißt sich täglich Kopfhaare aus, was schon zu einem sichtbaren Haarausfall geführt hat. Den Eltern kann sie keinen Grund für ihr Tun nennen. Sie sagt, sie wolle damit aufhören, könne aber nicht. Die ausführliche neurologische Untersuchung ergibt keinen pathologischen Befund. Wahn und Halluzinationen bestehen nicht.

Richtig: die Kriterien entsprechen einer Trichotillomanie („Haare ausreißen“) – F63.3

Diagnosekriterien nach ICD 10:

  • es besteht eine Unfähigkeit, ständigen Impulsen zum Haare ausreißen zu widerstehen
  • es besteht ein sichtbarer Haarverlust
  • es entwickelt sich eine starke Spannung vor dem Ausreißen und ein Gefühl der Lust und Erleichterung danach


Die Diagnose soll nicht gestellt werden, wenn das Haare ausreißen auf Wahn oder Halluzinationen beruht – dies wurde in dem Fallbeispiel ausgeschlossen. Als Ausschluss gilt auch die „stereotype Bewegungsstörung mit Haarezupfen“ (F98.4). Auch dies ist hier nicht der Fall, denn alle stereotypen Bewegungsstörungen treten am häufigsten in Verbindung mit einer Intelligenzminderung auf. Das Mädchen im Fallbeispiel wird als normal intelligent beschrieben.


Weitere Details finden Sie in Skript Nr. 9: „F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“


3. Frage zu Sexualstörungen (F5 und F6):

Welche der folgenden Aussagen zu Sexualstörungen treffen nach ICD 10 zu?

  1. Bei sexuellen Funktionsstörungen muss an eine mögliche organische Ursache gedacht werden
  1. Anhedonie bezeichnet psychogen bedingte Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs
  1. Der dauerhafte Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören, wird als Transsexualismus bezeichnet
  1. Exhibitionismus wird zu den sexuellen Funktionsstörungen gerechnet
  1. Homo- und Bisexualität werden zu den Störungen der Sexualpräferenz gerechnet

 

  1. Nur die Aussagen 1 und 3 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 2 und 4 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 3 und 5 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 2, 3 und 5 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 3, 4 und 5 sind richtig

Richtige Antwort: A)

zu 2): falsch: „Anhedonie“ bedeutet, die „Unfähigkeit Freude und Lust zu empfinden“ Der medizinische Fachbegriff für psychogen bedingte Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs ist: „nichtorganische Dyspareunie“ (F52.6)

zu 4): falsch: Exhibitionismus gehört zu den „Störungen der Sexualpräferenz“ (F65.2)

zu 5): falsch: Homo- und Bisexualität sind überhaupt keine psychischen Störungen

Zur leichteren Übersicht können Sie hier die Einteilung der Sexualstörungen downloaden.

Weitere Einzelheiten finden Sie in Skript Nr. 8: „F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“.


4. Frage zur Migräne:

Meiner Kenntnis nach ist dies die 1. Frage, die zur Migräne gestellt wird. Migräne ist eine häufige neurologische Erkrankung, die im ICD 10 unter G43.1 (G = Kapital VI, Krankheiten des Nervensystems) klassifiziert wird. Im Kapitel V (F), Psychische und Verhaltensstörungen, wird sie nicht aufgeführt. Ich denke aber, dass die Frage mit dem üblichen Allgemeinwissen gut beantwortet werden konnte:

Welche der folgenden Aussagen zur Migräne treffen zu?

Wählen Sie 2 Antworten!

  1. Bei Migräne reicht in der Regel eine augenärztliche Behandlung
  1. Oft besteht ausgeprägte Lichtempfindlichkeit, Übelkeit oder Erbrechen
  1. In der Auraphase treten häufig Sehstörungen auf
  1. Die Kopfschmerzen bessern sich bei körperlicher Betätigung
  1. Lebensmittel können keinen Anfall auslösen

Richtige Antworten:  B) und C)

Die komplette Prüfung vom 21.03.2018 mit Lösungsschlüssel finden Sie hier.