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Fallbeispiel: "Eine Scheidung kommt nicht in Frage!"

13.02.2018

kommentiertes Fallbeispiel – „Eine Scheidung kommt nicht in Frage!“

Auch wenn die narzisstische Persönlichkeitsstörung im ICD 10 unter „andere spezifische Persönlichkeitsstörungen“ (F60.8) eingeordnet ist und auch in vielen Lehrbüchern meist nur kurz und knapp dargestellt ist, wird sie in den Prüfungen, sowohl in der mündlichen als auch in der schriftlichen, in letzter Zeit häufiger nachgefragt.

Dazu ein Fallbeispiel:

„Ich komme nur zu Ihnen in die Praxis, weil meine Frau droht, sonst mit der Scheidung ernst zu machen“, stellt Michael K., ein elegant gekleideter 45-jähriger erfolgreicher Unternehmer, gleich zu Beginn des Therapiegespräches fest. „Ich weiß gar nicht, was meine Frau hat, Sie kann sich die teuersten Designerklamotten kaufen, in der Stadt sind wir aufgrund meines erfolgreichen Unternehmens hoch angesehen und wir machen Urlaub an den tollsten Plätzen der Welt“, erklärt er. „Wissen Sie“, führt er weiter aus, „ich war schon immer sehr erfolgreich und beliebt, in der Schule war ich Schulsprecher und meinen Abschluss an der Uni habe ich mit 1,2 gemacht.“

Auf Ihre Frage, ob es denn Probleme in der Ehe gebe, antwortet er: „Ja, aber das verstehe ich ja nicht. Meine Frau hat mich immer für meine Erfolge bewundert und mich bei allem unterstützt. Und jetzt plötzlich hat sie ganz andere Vorstellungen. Neulich war unser Sohn ein paar Tage krank und ich sollte ihr bei der Pflege helfen, dabei war ich doch selbst so erschöpft und brauchte meine Ruhe. Da muss Sie doch Rücksicht auf mich nehmen!“ beklagt er sich.

"Und dass sich viele Frauen für mich interessieren, ist doch normal. „Macht macht eben sexy“, sagt er mit einem Zwinkern in den Augen zu Ihnen, "eine kleine Freundin steht einem Mann wie mir einfach zu."

„Wenn sie sich wirklich scheiden lässt, ist mein Ruf ruiniert, was sollen bloß die Anderen denken? Bitte machen Sie doch meiner Frau verständlich, dass eine Scheidung von mir überhaupt nicht in Frage kommt“, erklärt er am Ende der Sitzung.

 

Erläuterungen der Diagnosekriterien:

 

1. Größengefühl: ... ich war schon immer sehr erfolgreich und beliebt...

2. Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung: elegante Kleidung, Designerklamotten der Ehefrau, hohes Ansehen in der Stadt

GLEICHZEITIG: Angst, Bewunderung von anderen zu verlieren: ... was sollen bloß die Anderen denken?

3. Mangel an Empathie seiner Familie gegenüber: kann sich nicht in die Gefühle und Bedürfnisse von Frau und Sohn einfühlen

4. übersteigertes Anspruchsdenken: er nimmt sich selbst als etwas Besonders mit Sonderstatus wahr (.. eine kleine Freundin steht einem Mann wir mir einfach zu....)

5. Gefühl der Einmaligkeit: ... eine Scheidung von mir kommt überhaupt nicht in Frage....


Verdachtsdiagnose:

sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung – hier: narzisstische Persönlichkeitsstörung (F60.80)

 

Psychodynamisch besteht häufig ein äußerst brüchiges Selbstwertgefühl. Die unbewusste Abwehr erfolgt z. B. mittels Selbsterhöhung, Idealisierung des eigenen Selbst und übertriebener Suche nach Lob, Bestätigung und Ruhm. Das geringe Selbstwertgefühl wird durch übertriebene Einschätzung der eigenen Wichtigkeit, der gleichzeitigen Abwertung anderer und den großen Wunsch nach Bewunderung kompensiert. Deshalb:

CAVE:
Betroffene geraten bei Kritik oder privaten und beruflichen Niederlagen häufig in Krisensituationen. Dabei kann es zu einer depressiven Reaktion mit Gefühlen völliger Erniedrigung, Wertlosigkeit und innerer Leere bis hin zu suizidalen Handlungen kommen!


ABER – Wichtig: eine Persönlichkeitsstörung an sich (unabhängig vom spezifischen Typ) kann nur unter bestimmten Voraussetzungen diagnostiziert werden:
 

alle der folgenden 6 Punkte müssen zusätzlich erfüllt sein:

1. Das Verhalten und die Einstellung weicht in mehr als einem der Bereiche: Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Kognition und Beziehungen zu anderen deutlich von den in der Gesellschaft erwarteten und akzeptierten Normen ab.

2. Das auffällige Verhaltensmuster ist dauerhaft (nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt).

3. Das auffällige Verhaltensmuster ist so stark ausgeprägt (tiefgreifend), dass es in vielen persönlichen und sozialen Situationen unangepasst, unflexibel oder unzweckmäßig ist.

4. Die Störung beginnt immer in der Kindheit oder Jugend und manifestiert sich im Erwachsenenalter.

5. Das abnorme Verhaltensmuster führt zu deutlich subjektivem Leiden (manchmal erst im späteren Verlauf).

6. Die Störung führt meistens (nicht immer) zu deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit.
 

-> aus der Fallgeschichte können wir nur Punkt 4. entnehmen; die restlichen, für die Diagnose einer PS notwendigen Merkmale, müssen weiter exploriert werden

-> hier finden Sie eine Übersicht der diagnostischen Leitlinien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zum Download

-> weitere Details dazu finden Sie in Skript Nr. 9

 

Und hier noch die Prüfungsfrage zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung aus der letzten schriftlichen Prüfung am 11.10.2017:

Welche der folgenden Merkmale lassen am ehesten an eine narzisstische Persönlichkeitsstörung denken?

  1. Eingeschränkte Fähigkeit beim Treffen von alltäglichen Entscheidungen ohne Ratschläge und Bestätigung von anderen
  1. Die Betroffenen besitzen in der Regel eine übersteigerte Anspruchshaltung in Bezug auf Mitmenschen
  1. Umstände, welche als massive persönliche Kränkung empfunden werden, können zu akuter Suizidalität führen
  1. Mangelnde Empathie anderen Menschen gegenüber
  1. Übermäßige Gewissenhaftigkeit bis hin zum Perfektionismus, um Fehler zu vermeiden
     
  1. Nur die Aussagen 1, 2 und 4 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 2 und 5 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 1, 3 und 5 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 2, 3 und 4 sind richtig
  1. Nur die Aussagen 3, 4 und 5 sind richtig

Richtige Antwort: D.